In letzter Zeit denke ich oft zurück, als ich vor 3 Jahren den Text für meine allererste Podcastfolge schrieb. Schüchtern? Nein, hochsensibel, hieß sie. Wenn Du sie noch nicht kennst, hör sie gern an, ich verlinke sie unter dem Video.

Wie viel Rechtfertigung damals doch im Raum stand, wie viele Erklärungen, wie viel Unverständnis, manchmal auch Druck und versuchter Zwang von außen.

Ich war immer im Vertrauen in Dich und in meine Wahrnehmung, was Dir dient und wo der Weg für mich als Mama gemeinsam mit Dir langgeht.

Du bist mittlerweile 6 Jahre alt. In den letzten 3 Jahren sind wir beide enorm gewachsen, auch die Menschen in unserem Umfeld. Ich bin sehr dankbar dafür.

Dieser Text soll Mut machen. Geht Euren Weg mit Euren Kindern, egal was irgendwelche Labels sagen. Egal, ob Euer Kind in Raster passt oder nicht. Macht Euch stark für sie.

Ich komme manchmal kaum hinterher.

So saßt Du gefühlt eben noch auf meinem Schoß und wolltest keinen Zentimeter von mir weg. Und jetzt sagst Du zu mir: Schade Mama, dass ich noch nicht alleine zum Töpferkurs gehen kann.

Ich bin sanft zu mir und wann immer ich eine Tendenz spüre zum festhalten, lasse ich Dich los und schaue in mich.

Natürlich kannst Du das noch nicht, aber bald.

Ich sehe Deine unglaubliche Entfaltung aus der Sicherheit und dem Wissen heraus, dass Du gut bist, wie Du bist und dass Du immer einen sicheren Hafen voller Liebe hast, in dem Du Anker werfen kannst, wenn Du es brauchst.

Von Anfang an, habe ich Dir total vertraut. Ich bestimme nicht über Dich, ich habe die Ehre Dich zu begleiten. Ich habe mir vertraut, in dem wie ich glaube, dass es gut ist kleine und große Menschen zu begleiten, damit sie voller Vertrauen in sich und die Welt, hinausgehen können, um ihr Leben zu gestalten. Besonders dann wenn sie sensibel sind.

Natürlich ist es ein unübersehbarer Vorteil, wenn wir als Eltern Frieden mit uns selbst und unserer Hochsensibilität und unserer Kindheit schließen, dann können wir einen guten Draht und viel Verständnis zu unseren Kindern haben und eine Vorbild ohne gleichen sein.

Natürlich sehe ich auch immer wieder, wie wir jeden Tag sanft mit unseren Kindern schauen dürfen, wie wir bestimmte Herausforderungen bewältigen können. Es liegt so sehr an uns, ob wir dem Leben einen Geschmack von Bedrohlichkeit oder Verspieltheit geben. Und gerade bei hochsensiblen Kindern ist das so wichtig.

Letztes Frühjahr waren wir bei einem Sprachtest, weil alle Kinder in Berlin, die kitafrei leben, zu so einem Test erscheinen müssen. Mein Barfußkind war so aufgeregt und angstvoll, was von ihr verlangt werden würde und was geschehen würde, wenn sie irgendwas nicht können. Ich habe ihr gesagt, dass wir einfach einen Ausflug machen, ein kleines Abenteuer, einfach mal was anderes als sonst und alles gut gehen wird. Obwohl diese Frauen völlig fremd und dann zeitgemäß maskiert waren, war mein Barfußkind wie Polly Patent (ihr Kinderarzt betitelte sie einmal so). Sie sah es als Spiel, war wie immer aufgeschlossen und nach nicht mal 10 Minuten waren wir wieder draußen. Auf meine Aussage hin, dass sie in keine Kita gehe, waren alle völlig entrüstet (aber das verdient im Grunde eine eigene Folge). Es sei so schade, dass so ein Kind keine Kita bereichere. Sie sei so aufgeschlossen und redegewandt. Ich sitze nur da und freue mich in mich hinein, dass ein Kitabesuch sie sicherlich nachhaltig anders geprägt hätte.

Ich freue mich einfach, dass ich es für mich besser weiß und dass im Grunde jeder immer alles dreht, wie er es gerade braucht.

Die Hochsensibilität spürt man immernoch.

Manchmal ist es mit Dir wie mit einer Erwachsenen zu sein, ich gebe es zu, ich nenne Dich sogar innerlich manchmal Oma Barfuß. Du siehst, wenn es mir nicht gutgeht, nimmst mein Gesicht in Deine kleinen Hände und sagst etwas Schönes. Manchmal kann ich das garnicht fassen, so schön ist das. Oder Du erinnerst mich, wenn ich wütend bin, dass Du dann immer auf eine bestimmte Art atmest und ob ich das nicht auch machen wolle. Du bist verständnisvoll und achtest auf die Menschen um Dich. Wir dürfen darauf achten in Dir weiterhin dem Kind Raum zu geben, denn Du darfst Kind sein, Du musst keine Verantwortung für andere tragen.

Du riechst detailiert.

Du hörst Gespräche und Worte auf eine unglaubliche Entfernung, besonders dann, wenn ich extra achtsam etwas erzähle, was nicht für Deine Ohren bestimmt sein soll.

Du betrachtest bestimmte Menschen mit Abstand und erzählst mir danach worüber Du Dir Gedanken machst, oder was Du aufgenommen hast von diesen Menschen, warum Du lieber Abstand halten magst.

Manchmal sehe ich in Deinen Augen einen kleinen Zweifel an Dir, wenn andere Menschen sich aus Deiner Wahrnehmung unverbindlich oder nicht vertrauenswürdig verhalten. Du nimmst Freundschaften sehr ernst und bist oft bedingungslos. Wenn es Freunde sind, bist Du richtig entrüstet und schwer mitgenommen, wie Freunde sich so unfreundschaftlich verhalten können.

Du bist Liebe, manchmal Wut. So viel Gefühl. Du bist verkörpertes Gefühl. Manchmal kannst Du es ausdrücken, manchmal schreist Du einfach nur und lässt alles raus. Aber niemals gegen Dich oder andere.

Du bist offenherzig und so verbunden mit der Natur.

Du beobachtest immer noch ausdauernd und machst Dir Gedanken über Zusammenhänge.

Du sitzt stundenlang neben unseren Katzen und kommunizierst mit ihnen auf Deine Weise.

Aufregende Momente verarbeitest Du mit viel Tiefgang.

Du stellst Fragen, über die manch erwachsener Mensch sicher noch niemals nachgedacht hat.

Du denkst über Worte und Sätze von anderen Menschen nach, sagst Dinge wie: Mama, ich werde niemals so sein können wie Person X es von mir verlangt. Weil ich eben ich bin.

Und da ist ein Kloß in meinem Hals. Aber das ist meine Trauer, alte Kindheitstrauer, die noch in meinem System hängt. Um die darf ich mich kümmern.

Du bist so klar und gut bei Dir selbst, Du kannst die Enttäuschung anderer von Dir trennen. Du weißt meistens, dass seltsames Verhalten anderer nichts mit Dir zu tun hat.

Manchmal brauchst auch Du einen kleinen Schubs in Dein Glück. Wir sind auf einem Spielplatz. Du bist wie immer so gern barfuß, auch wenn heute gerade mal der 23.2.22 ist. Winter. Aber das macht Dir nichts. Du liebst den Sand unter den Füßen, wenn Deine Füße atmen können.

Barfußkind. Immernoch.

Eine große Gruppe gleichaltriger Kinder tummeln sich auf den Spielgeräten.

Du stellst Dich geduldig daneben, wartest, freust Dich mit ihnen, wartest ausdauernd.

Niemand fragt, ob Du mitspielen willst.

Ich beobachte Dich ab und zu, gebe Dir Raum, selbst für Dich zu erkunden, was Du tun willst.

Du wartest.

Nach 5 Minuten rufe ich Dir rüber, dass Du einfach fragen kannst, ob Du mitspielen darfst.

Du schaust mich an, als wäre das eine Idee auf die Du nienie gekommen wärst, und drehst Dich direkt zu den Kindern und bittest sie mitzuspielen zu dürfen.

Wow, ich bin stolz auf Dich.

Du machst Dir manchmal garkeinen Kopf, bist so reinherzig. Und ein anderes Mal stellst Du mir so tiefe Fragen, dass ich selbst erstmal richtig atmen muss, bevor ich Dir antworten kann. Denn manche Fragen, die Du stellst, empfinde ich nicht als Kinderfragen. Sie rütteln an Grundfesten, und hinterfragen, warum bestimmte Werte, die auf dieser Welt mit Füssen getreten werden. Es ist manchmal schwer eine Kindgerechte Antwort zu finden, die Mut und Vertrauen anstupst und nicht Ohnmacht. Ich nehme Dich ernst, ich will Dir antworten, so gut ich kann.

Du liebst Rätsel, die Buchstaben, das Wasser. Du liebst es, wenn Zitat: Deine Haare frei im Wind wehen. Du liebst die Tiere und Yoga und Du liebst es, Dich mit Ölen, Kristallen oder Zaubersprüchen stark zu machen. Magie ist ein Teil unseres Lebens, der uns sehr viel Kraft und Vertrauen gibt.

Ob ich Angst habe, dass Du zu großherzig und zu naiv für diese Welt bist, höre ich ab und an. Nein, Polly Patent ist gutherzig und sensibel, aber auch ziemlich stark und ziemlich klar.

Können wir uns gesellschaftlich vielleicht langsam den Gedanken erlauben, dass Menschen, die sensibel sind keine automatischen Opfer sind? Für mich sind sie Leuchttürme, wie wir miteinander leben und umgehen können. Unsere Kinder sind Inspiration in meinen Augen.

Du bist der lebende Beweis dafür, dass Liebe stark macht. Dass man ein Kind nicht verziehen kann und ein Weichling dabei herauskommt. Was soll ein Weichling eigentlich sein?

Kann es sein, dass solche Menschen eher dann herauskommen, wenn wir sie nicht von klein auf sie selbst sein lassen, sondern ständig an ihnen etwas rumverändern und anpassen und wegtherapieren wollen?

Meine Beobachtung ist die: Umso mehr wir Eltern uns selbst trauen und auf uns hören und unsere Kinder relativ unabhängig vom System begleiten, um so klarer sind unsere Kinder mit sich und der Welt. Und können ihre HS gut nutzen und sind mit ihr nicht überfordert.

So ein kleiner Mensch, der klar seine Grenzen kommuniziert, der überhaupt supergut weiß, was ihm gut tut, wow, wie sehr wünschen wir uns das nicht als Erwachsene, wenn mal wieder jemand unsanft über unsere Grenze geht?

Du bist der Beweis, dass das, was ein Mensch zum Wachsen braucht, Liebe und Vertrauen ist.

Vertrauen darin, dass Du genau richtig bist.

Ich wünsche allen Kindern dieser Welt diesen Raum, diese Erfahrung voller Liebe in ihrem direkten und indirekten Umfeld.

Und ich wünsche allen Eltern, den Mut und die Kraft sich selbst mit ihrer Wahrnehmung ernstzunehmen und sich zu erlauben einen Weg für sich und ihre Kinder zu finden, auf dem es um Liebe und Verbindung geht.

Auf dem es darum geht, dass jeder gut ist wie er oder sie ist.

Diesen Text gibt es auch in Form einer Podcastfolge (Folge 135) in meinem Podcast ‚Starke Mama, starkes Kind‘ bei Itunes, Spotify usw.

Alles Liebe,

Julia