„Na?! Bist wohl schüchtern, hm?!“
Wie ich diesen Satz mag! Überhaupt gar nicht!
Meine Tochter, drei Jahre alt, bekommt ihn ständig zu hören.
Sie ist hochsensibel.
Mein Barfußkind, so nenne ich sie hier, liebt es bei jedem Wetter und jedem Untergrund ohne Schuhe umher zulaufen. Das erdet, gibt ihr ein Gefühl für sich selbst, für ihren Körper.
Sie mag keinen Lärm und keine wilde Rauferei. Weder Kindergeschrei, noch das Geräusch des Staubsaugers oder der Straßenkehrmaschine.
Auch bestimmte Musikrichtungen oder Instrumente lassen sie sich sichtlich unwohl fühlen.
Oder Menschen mit bestimmten „Energien“. Dann verkriecht sie sich klitzeklein in mich.
Überhaupt ist das Thema „Vorsicht“ ein sehr großes. Ich erinnere mich an Zeiten, da sprang sie fast ständig auf meinen Arm, weil jemand „komisch“ guckte, weil die Jacke, die in unserem Flur plötzlich anders hing, sie ängstigte, weil ein Kind sich sehr nah neben sie setzte oder weil eine ältere Dame sie in der Straßenbahn ansprach.
Sie mag auch kein Getatsche. Geknutsche. Gequetsche. Umarmungen.
Es ist ihr oft zu eng. Zu nah. Manchmal auch von mir als Mama. Für mich ist das okay. Für viele andere Menschen nicht. Die nehmen das dann persönlich, sind gekränkt und reagieren fordernd oder beschämen sie bewusst oder unbewusst.
Sie hingegen möchte gefragt werden, wenn man sie umarmen will.
Ist das nicht eigentlich total schön, ein Ausdruck von Selbst-Bewusstsein?
Mein Barfußkind mag immer erst mal von weitem beobachten, erst mal nichts sagen, einfach nur schauen. Am Rand sitzen. Sich mitfreuen. Mit trauern. Sich wundern. Mir Fragen stellen zu dem was sie beobachtet.
Sie liebt Bücher. Den ganzen Tag beschäftigt sie sich mit Büchern. Jede Situation in den Geschichten spürt sie nach. Sie fiebert mit. So als lerne sie schon mal für das Leben „da draußen“.
Baden ist ihr ein Graus. Wenn überhaupt dann auch nur in lauwarmem Wasser, warmes Wasser ist ihr unangenehm. Lange stand sie nur in der Badewanne; mittlerweile setzt sie sich auch schon mal ins Wasser.
Lässt man ihr Zeit, entstehen Räume für Mut.
Schlafen ging als Baby nur in Bewegung. Im Tuch war ihr zu Hause. Jedenfalls solange es um uns herum nicht zu laut war oder es plötzlich zu einem Temperaturwandel kam, weil ich zum Beispiel den Bäcker betrat – dann war sie sofort wach. Schlafen geht auch jetzt nur bei absoluter Ruhe. Andere Eltern lesen neben ihren Kindern, bei uns unmöglich. Auf der Bank sitzen und ein Buch lesen, während das Baby im Tuch oder im Wagen schläft – auch das ist nie vorgekommen. Darauf war ich bei anderen Eltern immer ein bisschen neidisch.
Sie ließ sich als Baby schon frühzeitig ungern von anderen auf den Arm nehmen, war dabei schon in den ersten Wochen sehr wach und aufmerksam den Menschen gegenüber. Bis jetzt ist mein Barfußkind sehr stark an mich gebunden, bleibt gern in meiner Nähe. Lässt sich eigentlich nur von mir beruhigen.
Viele Dinge dauern bei ihr länger. Das Ankommen in Gruppensituationen zum Beispiel. Besuche benötigen Vorbereitung, ich bespreche jeden Morgen mit ihr, was am Tag geschieht. Unterschiedliche Ereignisse am Tag brauchen eine lange Pause dazwischen, sind aber eigentlich schon zu viel des Guten.
Sie mag wenige Nahrungsmittel. Nicht zu hart, ohne Schale, immer wieder das selbe. Sie interessierte sich lange nicht für Beikost; dafür aber umso länger fürs Stillen. Stillen gibt Sicherheit (und da soll nochmal einer sagen, in der Milch sei ab einem Jahr nur Wasser ;)). Der Speiseplan hat sich bis jetzt auf ungefähr 10 Lebensmittel komplettiert. Sie probiert eigentlich nichts gerne und lehnt sogar Süßigkeiten (bis auf eine ganz bestimmte Sorte Eis) partout ab.
Wenn sie doch mal probiert, ganz vorsichtig, kaum erkennbar, verzieht sie das Gesicht. Vielfalt auf dem Tisch gibt es bis jetzt bei uns nicht. Eher Kartoffeln und Quark, Kartoffeln mit Quark, Quark mit Kartoffeln und, zum Glück, sämtliches Obst und Haferflocken mit Apfelmark.
Und wenn es bis jetzt so klang, als wäre mein Barfußkind nur still – nein nein, sie hat auch eine wilde, sehr lustige Seite an sich. Sie liebt es zu tanzen, zu singen und interessiert sich für unterschiedliche Instrumente, wie Piano oder Saxophon,.. Dann stehen wir schon mal 30 Minuten an einer Straße um einem Musiker zu lauschen.
Sie macht sehr lustige Gesichter, wenn sie witzige Sachen erzählt. Ihre Mimik ist, wahrscheinlich aufgrund ihrer genauen Beobachtungen, schon sehr früh sehr stark ausgeprägt gewesen.
Und mit ihrer Lieblingsfreundin, mit der springt sie, wenn sie nur zu zweit sind, auch wild umher. Und manchmal in ganz zarten Momenten, dann darf ihre Freundin sie auch mal umarmen. Nicht zu lang natürlich, aber sie genießt es.
Sie liebt es Fragen zu fragen. Menschen zu verstehen. Warum Opa soviel Wut im Bauch hat, zum Beispiel. Und sie ist manchmal verwirrt. Warum haut der Junge auf dem Spielplatz seinen, so dachte sie eben noch, Freund?
Mein Barfußkind wirkt durch ihre feine Wahrnehmung der emotionalen Verfassung der Menschen um sie herum oft unheimlich wissend.
Sie übernimmt dadurch aber auch zu schnell zu viel Verantwortung. Ist bereit sich zu sehr anzupassen. Ein Problem bei hochsensiblen Kindern. Dadurch droht immer der Verlust des inneren Gleichgewichts, der Verbindung zu sich selbst.
Viele Menschen missverstehen ihre Zurückhaltung, die sich einfach auf Vorsicht begründet.
So geht es vielen hochsensiblen Kindern, sie werden nicht verstanden.
So kommt es im schlechten Fall zu Konflikten und die Kinder beginnen sich selber zu verlassen, sich zu verstellen, sich abzuschotten.
Mir geht es nicht um eine weitere Kategorisierung der Kinder. Auch nicht um ein Bewerten oder einen Vergleich mit normal-sensiblen Kindern.
Mir geht es um ein Sichtbarmachen dieses Wesenszuges, der bei 10-15% der Kinder vorkommt (Vgl. Elaine N. Aron).
Mir geht es darum, dass die Kinder oft andere Bedürfnisse haben, die uns bewusst gemacht werden dürfen, damit wir sie als Eltern verstehen und beantworten können.
Ja, das Leben mit hochsensiblen Kindern ist manchmal anstrengend.
Sie hängen an einem, haben gefühlt ständig Angst oder andere sehr intensive Emotionen und sind manchmal so unglaublich erwachsen und ernst.
Weil man so zart und achtsam sein muss, wie wir es oft vergessen oder nie wirklich gelernt haben, strengt es uns an.
Und dann sind da diese Stimmen um uns, wir würden unser Kinder verweichlichen. Dass so ein Verhalten nicht normal sei.
Und doch: unsere Kinder sind ein so wunderbares Geschenk, wenn sie sind, wie sie sind. Und weil sie uns erinnern. An die Achtsamkeit mit uns und anderen, der wir wieder Platz in unserem Leben, ja auf diesem Planeten, geben dürfen.
Wie schön wäre es, wenn wir als Eltern unsere Kinder so begleiten können, dass sie selbstbewusst mit ihrer Wahrnehmungsbegabung wachsen und sich dabei so entfalten, dass sie selbstbestimmt und glücklich leben können. Anders vielleicht, als wir es, wenn wir selber hochsensibel sind, am eigenen Leib erfahren haben.
Wenn wir gemeinsam mit unseren Kindern einen neuen bewussten Weg gehen können. In unserem hochsensiblen Sein gemeinsam wachsen können.
Ich freue mich, dass Du hier gelandet bist.
Wie bist Du auf die Hochsensibilität Deiner Kinder aufmerksam geworden? Kommentiere gerne unter diesem Beitrag.
Alles Liebe,
Deine Julia
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